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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 01.09.2022


Freibad – Spielfilm von Doris Dörrie. Kinostart 1. September 2022
Helga Egetenmeier

Bunt, schrill und laut, so sind die Besucherinnen des Frauen-Freibads von Regisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin Doris Dörrie. Wie in einem lebendigen Wimmelbild, so treffen die humorvoll bis klischeehaft gezeichneten Figuren aufeinander.




In Deutschland gibt es mit dem Lorettabad in Freiburg nur ein einziges Frauen-Freibad. Doch drei der Themen, die dort die Gemüter bewegten, spielen auch in Doris Dörries Film, der im Freibad Ainhofen, nahe München, gedreht wurde, eine Rolle: ist Grillen auf der Liegewiese erlaubt? Was ist "angemessene Badekleidung"? Darf es in einem Frauenbad auch männliche Bademeister geben?

Das Freibad als Ort kultureller, sozialer und ökonomischer Unterschiede

Gleich zu Beginn zeigt dieser Film, wie die Frauen ihr Freibad als Flucht aus dem Alltag nutzen. So entkommt die verarmte Sängerin Eva (Andrea Sawatzki) ihrer kleinen überhitzten Dachgeschosswohnung, indem sie sich dort mit ihrer besten Freundin Gabi (Maria Happel) trifft. Als verlassene Ehefrau entflieht diese gern ihrem großen leeren Haus. Denn sie fühlt sich genauso einsam und dem Älter werden ausgeliefert, wie Single-Frau und Feministin Eva und genießt die gemeinsame Zeit auf der Liegewiese.

Als die türkische Familie um Emine (Ilknur Boyraz) den Grill anheizt, ist jedoch die Ruhe auf der grünen Wiese vorbei. Gabi ruft anonym die Polizei, die mit einem großen Trupp einmarschiert. Doch die Frauengruppe wehrt sich wortgewandt, allen voran Tante Sema (Sema Poyraz). Als sie jedoch kurz darauf ihre Nichte Yasemin (Nilam Farooq) in einem schwarzen Ganzkörperbadeanzug entdeckt, ist auch ihre Gelassenheit vorbei und sie wirft ihr entsetzt "arabisches Verhalten" vor.

Yasemin ist die Coolste im ganzen Schwimmbad, das zeigt die Kamera deutlich. Kraftvoll zerteilt sie das Wasser, oder geht selbstbewusst am Beckenrand entlang. Auch wenn dies ihre Tante nicht beeindruckt gibt es in Dörries Ensemblefilm eine Fülle an Protagonistinnen die einen anderen Blick auf sie werfen. So sieht Gabi in Yasemin die Verkörperung von Superwoman, die füllige Paula (Julia Jendroßek) hat sich spontan in sie verliebt und für Eva ist sie der pure Ausdruck patriarchaler Unterdrückung.

Die Geschlechterfrage: Bademeisterin, Bademeister, oder?

Dass der Badebetrieb funktioniert, dafür sorgt nicht nur dessen rigoros und androgyn wirkende Betreiberin Rocky (Lisa Wagner). Die oberste Chefin, ohne die nichts geht, ist Bademeisterin Steffi. Sie bringt Ordnung in das Chaos und geht mit der Trillerpfeife gegen die vielen Regelverstöße vor. Perfekt in dieser Rolle Melodie Wakivuamina, die mit ihrer Dynamik den Film in Schwung hält. Doch sie ärgert sich regelmäßig über ihre rücksichtslosen Badegäste, die ihre Belehrungen ignorieren. Als dann eine Gruppe Frauen im Niqab aus der Schweiz das Freibad besucht und es im Laufe weiterer Verwicklungen zu einer Schlägerei kommt, kündigt Steffi.

Da Rocky keine Frau für diesen Job findet, steht das Freibad vor der Schließung. Mit dieser Wendung nimmt Dörrie die Frage nach der Geschlechterzugehörigkeit in den Film, indem sie den Studenten Nils (Samuel Schneider) als Bademeister einstellen lässt. Ein Mann im Frauenbad? Auch hier zeigt sich die Stärke des Ensemblefilms, denn die Darstellerinnen diskutieren diese Entscheidung mit großer Leidenschaft und einer Vielzahl an Positionen zwischen Akzeptanz und Ablehnung.

Doris Dörrie und ihre Protagonist*innen

Ist der Film nun ein kurzweilig zusammengestecktes buntes Puzzle an weiblichem und queerem Alltagsleben, oder oberflächlicher Klamauk? Doris Dörrie nimmt in "Freibad" klischeehafte Bilder auf, die als Themen in der Luft liegen. Die Angst vor der Einsamkeit im Alter, die Bedeutung von finanzieller Sicherheit und die Frage, auf welchen Grundlagen sich Freundschaft und Zuneigung entwickelt, beschäftigen nicht nur ihre Protagonist*innen, sondern auch uns Zuschauer*innen.

Auf die Frage, was aus ihrer Sicht einen guten Dokumentarfilm auszeichne, erklärte Doris Dörrie in einem Interview mit AVIVA im Jahr 2007: "Das ist schwer zu sagen. Was immer wichtig ist, aber das ist bei Spielfilmen genauso, ist eine Neugier zu der Person, über die man erzählt" "In "Freibad" gelingt ihr das dadurch, dass sie keine ihrer vielen Protagonist*innen eindimensional auftreten lässt. Gleichzeitig interagieren die unterschiedlichen Lebensanschauungen ihrer Ensemble-Figuren miteinander. So wird daraus ein vielstimmiger Dialog über komplexe Themen, in dem eine Entwicklung zur Änderung der eigenen Anschauungen mit angelegt ist.

AVIVA-Tipp: Für ihren Ensemblefilm über einen Sommer im Frauen-Freibad hat die Regisseurin einen Reigen an namhaften Schauspieler*innen versammelt, denen ihre Spielfreude anzumerken ist. Wer sich auf diese leichte Sommerkomödie, die tiefer gehende Auseinandersetzungen mehr antippt als auflöst einlassen kann, wird sich gut amüsieren.

Zur Regisseurin: Doris Dörrie, 1955 geboren, lebt in München und zählt seit mehr als 35 Jahren zu den wichtigsten Filmkünstlerinnen Deutschlands und hat KritikerInnen- und auch Publikumserfolge wie die Komödien "Männer" (1985) und "Keiner liebt mich" (1994) sowie das in Japan spielende Roadmovie "Kirschblüten - Hanami" (2008) inszeniert. Zu ihren weiteren Kinoarbeiten zählen der Dokumentarfilm "Dieses schöne Scheissleben" (2014) über weibliche Mariachi in Mexiko, der mit dem Bayerischen Filmpreis 2012 ausgezeichnete Liebesfilm "Glück" (2012), die Komödie "Die Friseuse" (2010), das Drama "Grüsse aus Fukushima" (2016) über die Folgen der Atomkatastrophe und "Kirschblüten & Dämonen" (2019) als Fortsetzung des Films von 2008. Zusätzlich zu ihrer Filmarbeit, für die sie meist auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, veröffentlicht Doris Dörrie Kurzgeschichten, Romane und Kinderbücher. Zuletzt erschien ihr Buch "Die Heldin reist" (2022). Sie unterrichtet sei 1997als Professorin an der Hochschule für Fernsehen und Film München Creative Writing. Das von ihr, gemeinsam mit Karin Kaci und Madeleine Fricke, geschriebene Drehbuch zu "Freibad" wurde von Paulina Stulin in die gleichnamige Graphic Novel (Jaja Verlag, 2022) übertragen.

Hauptdarstellerin: Andrea Sawatzki, 1963 geboren, arbeitet als Schauspielerin, Hörbuchsprecherin und Autorin. Sie studierte an der Neuen Münchner Schauspielschule und spielte am Theater, bevor sie 1988 ihre erste Filmrolle übernahm. Danach spielte sie sowohl in Fernsehfilmen, Serien und internationalen Produktionen. Für achtzehn Fälle war sie Hauptkommissarin beim Tatort Frankfurt am Main. Sie wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, so erhielt sie 2005 den Grimme-Preis für die Tatortfolge "Herzversagen" und 2012 den Deutschen Animations-Sprecherinnenpreis für ihre Sprechrolle der Jill im Animationsfilm "Der gestiefelte Kater." Im Februar 2022 erschien ihr autofiktionaler Roman "Brunnenstraße". Mehr Infos: www.andreasawatzki.de

Hauptdarstellerin: Maria Happel, geboren 1962, absolvierte die Schauspielschule Bühnenstudio in Hamburg. Nach Auftritten in Bremen, Köln und Hannover, ging sie 1991 an das Wiener Burgtheater, wechselte im Jahr 2000 an das Berliner Ensemble, bevor sie zwei Jahre später wieder an das Burgtheater zurückging. Sie arbeitet auch als Regisseurin und Hörspielsprecherin, spielt Orgel und Klavier und ist ausgebildete Mezzosopranistin. Am Max Reinhardt Seminar in Wien unterrichtet sie Rollengestaltung und wurde 2020 zur Leiterin des Reinhardt-Seminars ernannt. Im Juli 2021 wurde sie künstlerische Leiterin der Festspiele Reichenau.

Hauptdarstellerin: Nilam Farooq, geboren 1989, hatte ab 2006 erste Gast- und Nebenrollen als Schauspielerin, es folgten Auftritte in Werbespots und Aufträge als Synchronsprecherin. So spielte sie zwischen 2013 und 2019 regelmäßig in der Fernsehserie "SOKO Leipzig" als Kommissarin und 2021 im deutschen Netflix-Film "Du Sie Er & Wir". 2021 erhielt sie den Bayerischen Filmpreis als beste weibliche Darstellerin für ihre Rolle der Jurastudentin in "Contra." Zwischen 2010 und 2017 war sie als Videobloggerin auf ihrem YouTube-Kanal aktiv.

Hauptdarstellerin: Lisa Wagner, geboren 1979, studierte an der Bayerischen Theaterakademie August Everding und spielte dabei an den Münchener Kammerspielen. In dem Kino-Episodenfilm "Shoppen" gab sie 2006 ihr Filmdebüt und erhielt 2013 mit "Kommissarin Heller" eine Krimiserie im ZDF. Von 2015 bis 2018 war sie in der Fernsehserie "Weissensee" zu sehen und 2020 im Spielfilm "Das Glaszimmer."

Hauptdarstellerin: Melodie Wakivuamina, geboren 1996, absolvierte, nach einer dreijährigen Friseurinnenlehre, ihre Ausbildung an der Internationalen Akademie für Filmschauspiel in Köln, die sie 2019 abschloss. Danach spielte sie überwiegend in Fernsehserien, wie "Der Lehrer" von 2019 bis 2021 und in "Kroymann", 2021. Im Kurzspielfilm "I Am", 2020, spielte sie mit der Androidin "Ela" einer der zwei Hauptrollen.

Freibad
Deutschland 2022
Regie: Doris Dörrie
Drehbuch: Doris Dörrie, Karin Kaci, Madeleine Fricke
nach einer Idee von: Doris Dörrie
DarstellerInnen: Andrea Sawatzki, Maria Happel, Nilam Faroop, Lisa Wagner, Melodie Wakivuamina, Julia Jendroßek, Sabrina Amali, Nico Stank, u.a.
Kamera: Hanno Lentz
Verleih: Constantin Film
Lauflänge: 102 Minuten
Kinostart: 01.09.2022

Mehr zum Film unter: www.constantin-film.de

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Beitrag vom 01.09.2022

Helga Egetenmeier